EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 2/2019
Wie unterschiedlich wir doch alle mitunter auf Musik reagieren. Zumal im so viele verschiedene Künste vereinenden Musiktheater gehen die Meinungen nicht selten beträchtlich auseinander. Sicher geht es auch Ihnen zuweilen so, dass Sie in einer Vorstellung sitzen und die allgemeine Aufregung um Sie herum nicht verstehen. Die Oper war toll, Sie haben den Abend sehr genossen – und nun, am Ende, so viel Unmut? Ein anderes Mal sitzen Sie einigermaßen enttäuscht und konsterniert inmitten einer jubelnden Menge angesichts einer Darbietung, die für Sie selbst wenig überzeugend, schon gar nicht begeisternd war. Das Pausengespräch kann da schon mal zum emotionsgeladenen Meinungsaustausch werden – der uns aber im besten Falle durchaus auch bereichern und mit neuen, interessanten Gedankenansätzen konfrontieren kann. Der Diskurs gehört ganz wesentlich zur Oper, erst recht, wenn breitenwirksam hochgefahrene Meinungen – zu Künstlern, Theatern, Werken – von cleveren PR-Strategen und/oder Fachleuten, die es eigentlich besser wissen (sollten), so nachdrücklich in unsere Köpfe einzutrichtern versucht werden, dass ein differenzierter Standpunkt schwer fallen kann. „Das Opernglas“ möchte Ihnen hier Monat für Monat eine verlässliche Orientierung, Richtwerte und Anregungen bieten – für eine kenntnisreiche eigene Meinung, offene, geschärfte Ohren und noch genussvollere Opernerlebnisse.
Weiter →Der ganz große Operngenuss stellt sich immer dann ein, wenn starke Künstlerpersönlichkeiten auf der Bühne stehen, sei es im homogenen Ensemble am kleinen Dreispartenhaus oder mit Starappeal am Staatstheater. Jeder von uns hat da vermutlich seine eigene Liste an unvergesslichen Erlebnissen. Im so fordernden Beruf des Operngesangs schaffen es einige Künstler immer wieder nicht nur, sich eine lange, konstant erfolgreiche Karriere aufzubauen, sondern prägen sich mit besonderen, einzigartigen Auftritten regelrecht ins kollektive Gedächtnis ein. Unabhängig davon, ob diese Karrieren von Multiplikatoren wie Plattenverträgen oder TV-Präsenz begleitet werden oder nicht: Sie werden uns fortan unvergesslich bleiben und jeder wohlverdiente Ruhestand, jedes endgültige Verstummen ist eine Zäsur, die uns betrübt, aber auch dankbar macht. Theo Adam, Sylvia Geszty, Gianfranco Cecchele, um drei legendäre Namen aktuell im hohen Alter verstorbener Sänger zu nennen, haben uns reich beschenkt mit ihrer Kunst.
Ich bin mir sicher, dass viele von Ihnen, liebe Leser, an diese und all die anderen unvergessenen Künstler früherer Jahre noch sehr lebhafte, auch persönliche Erinnerungen haben. Und das hört ja glücklicherweise nicht auf! Jede Sängergeneration bringt neue, einzigartige Persönlichkeiten hervor, die uns mitreißen und begeistern. Das wird auf den nachfolgenden Seiten mehr als deutlich, berichten unsere Autoren doch wieder einmal von etlichen tollen Premieren und eindrucksvollen Opernerlebnissen. Und wenn wir in den Februar-Interviews neben Bryn Terfel und Joyce DiDonato, fraglos zwei der aktuell beliebtesten und prägnantesten Stars der Opernbühne, mit Irina Lungu eine weitere spannende Künstlerin der jüngeren Generation präsentieren dürfen, die zudem ihre Karriere ausgesprochen klug und mit dem nötigen Mut auch zu unbequemen Entscheidungen anzugehen scheint, kann einem um die Zukunft der Oper nicht bang werden.
Freuen Sie sich also auf eine anregende, abwechslungsreiche Lektüre!