
EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 04/2025||Höher, schneller, weiter – auch die Oper, ihre Macher und Akteure brauchen medienwirksame Großleistungen, zumindest wirkt das oftmals so. Nicht nur was die hochgesteckten Erwartungen an die Besetzungszettel vor allem der „großen“ Häuser in den Metropolen anbelangt – auch eine handelsübliche Gesangskarriere sieht sich immer wieder mit einer bestimmten Erwartungshaltung konfrontiert: Wann wird es nun lyrischer, größer, dramatischer? Die so oft nachgezeichnete vokale Lehrbuch-Reise, die bei Mozart beginnt und nach vielen Jahren entweder beim deutschen oder veristischen Repertoire ankommt, übt – gerade auch bei den bekannteren Namen – den latenten Druck aus, dass eine Karriere, die sich jahrzehntelang mit einem sich nur milde verändernden Repertoire begnügt, nicht genug sei; und dieser Erwartungsdruck ist nicht nur dem Publikum geschuldet, das sich immer neue Errungenschaften von seinen Stars wünscht, sondern das Operngeschäft selbst kurbelt dieses Hamsterrad fleißig mit, verfeuert auf der einen Seite junge Stimmen, die entsprechend schnell verblühen und wieder von der Bildfläche verschwinden, hält am anderen Ende aber auch überproportional lange an wohlklingenden Namen fest, die hohe Kartenverkäufe versprechen.%weiter%
Mit beiden Extremen wird ein Risiko eingegangen, das zu spektakulären Resultaten führen, den Startschuss zu einer großen Karriere abgeben oder einer bereits gut laufenden Karriere einen zusätzlichen Booster verpassen kann. Die Betonung liegt hier auf „kann“, denn so ein Poker – und leider ist es dies oftmals – geht nicht immer gut aus. Für leichten Wellenschlag sorgte kürzlich beispielsweise das geplante Wotan-Debüt von Ludovic Tézier, das jedoch recht kurzfristig zur Premiere wieder abgesagt wurde, da ihm eine Grippeerkrankung zu wenig Probezeit gelassen hatte. (Dass er – wiederhergestellt – die Zeit dann nutzte, um in München parallel zum Pariser »Rheingold« den »Maskenball«-Renato zu übernehmen, sorgte für ein wenig Online-Verwunderung, auf die zu reagieren der französische Star-Bariton sich erstaunlicherweise auch noch bemüßigt sah.)
Auch der Showdown der zwei Wiener »Normas«, der Opernfans jüngst ins MusikTheater an der Wien und eine Woche später in die Staatsoper eilen ließ, war eher geneigt daran zu erinnern, wie ein Sänger wie Juan Diego Flórez sich seit Jahren in Partien drängen lässt/selbst drängt (?), die seiner eigentlich noch so belcantesken Stimme keinen Gefallen tun. Der permanente Druck, etwas vorweisen zu müssen, um im großen und sich immer neu speisenden Sängermarkt fortzubestehen, führt manchmal leider auch dazu, eine eigentlich strahlende Karriere ein wenig einzutrüben.
Wie auch unsere Interviews immer wieder nachdrücklich illustrieren – eine Sängerkarriere ist ein kontinuierlicher Balanceakt zwischen gut beratener Vorsicht zugunsten der stimmlichen Langlebigkeit, aber eben auch dem Wagnis zur rechten Zeit. Und wie bei einem guten Jump ‘n‘ Run katapultiert einen nur das perfekte Timing manchmal im vorgesehenen Tempo voran. Das kann ein Lohengrin-Debüt sein wie bei unserem Gesprächspartner Christopher Sokolowski – oder vielleicht sogar auch der Kraftakt einer norwegischen Sopranistin, die innerhalb eines Wochenendes von einer Liù in Saarbrücken zur Turandot in Magdeburg übergegangen ist. Höher, schneller, weiter eben – wohin es am Ende führt, wird nur die Zeit zeigen. Begleiten Sie uns gern dabei!||
Eine schöne Lektüre wünscht Ihnen wie immer
||Ihre Yeri Han