EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 12/2024|| Es ist immer wieder schön, wenn sich die Gelegenheit bietet, ausführlich mit Menschen zu sprechen, die den Klassik-Zirkus schon ganz lange begleiten und prägen. Nicht nur weil sie noch eine ganz andere Ära dieser Branche kennengelernt und mit den auf ganz andere Weise schillernden Persönlichkeiten dieser Zeit gearbeitet haben, sondern auch weil sie dank dieser vielen Jahre und Kontinuität auch die ganzen sanfteren, aber auch gravierenden Wechselfälle miterlebt haben, die das gesamte Geschäft naturgemäß bewegen und verändern. Und gleichzeitig bleiben manche Dinge auf erfreuliche Weise gleich – so etwa, wenn das Musiktheater immer wieder seine chamäleonartige Fähigkeit beweist, sich fluide auf verschiedene Zeiten und Narrative anwenden und über die Jahrhunderte hinweg eine Verbindung zwischen Damals und Heute aufscheinen zu lassen. Sicherlich ist Richard Wagners »Ring« das Paradebeispiel für die zeitlose Wirkmacht eines Kunstwerks älteren Datums: Weltenbrand, Habgier, aber auch die weltfremde Ignoranz der Götter sind recht dankbare, da universelle Themen, in denen man folglich ohne große Transferleistung sehr akut die Probleme der unseren, fast schon unwiderruflich stark gespaltenen Lebenswelten wiederfindet – wie Tobias Kratzers Neuproduktion in München gerade wieder auf den Punkt gebracht hat. Auch die Kreationen von Duos wie Mozart und Da Ponte sowie natürlich Strauss und von Hofmannsthal gelten exemplarisch für die Zeitlosigkeit von Operngeschöpfen – doch auch abseits dieser gern vorgezeigten Beispiele ist die Opernlandschaft voll von Geschichten, für die man vielleicht nur ein wenig die eigene Perspektive verändern oder den Blick für die Details schärfen muss, um auch hier wie in einem Spiegel das Heute wiederzufinden.%weiter%
Um den Bogen wieder zum Beginn zurückzuschlagen: Da verwundert es eigentlich auch nicht, dass inmitten des grassierenden Kulturpessimismus jemand wie Gerd Nachbauer, der seit fast fünfzig Jahren die Schubertiade Hohenems führt, konstatiert: Das Publikum wächst mit. Ja, einiges verändert sich, und wir müssen uns zwangsläufig mitverändern – aber die Menschen finden hier ganz offenkundig etwas für sich, was nur hier geboten werden kann. Und wenn dazu gehört, dass sich das Konsumverhalten aufgrund von veränderten technischen Möglichkeiten ebenfalls wandelt, dann sollte man das ähnlich wie Gerd Neubauer auf gesund-stoische Weise akzeptieren, ohne fatalistisch die Notwendigkeit zum Rückbau hineinzudeuten. Wandel wie dieser bedeutet nicht Verkleinerung. Doch bei aller Flexibilität sollten und müssen wir an einem festhalten, wenn er substanzreich und gesund gelingen soll: am Beharren auf eine gleichbleibend hohe Qualität des Produkts sowie an der Lanze für das Aufrechterhalten und Ausbauen der Vielfalt innerhalb dieser Kunstlandschaft.
Außer zu den zahlreichen Premieren der jüngeren Vergangenheit nimmt die vor Ihnen liegende Ausgabe Sie aber nicht nur mit zu einer spannenden kleinen Zeitreise durch fünfzig Jahre Klassikgeschäft, sondern beleuchtet gleichzeitig anhand von zwei ganz unterschiedlichen Künstlerporträts die Entwicklung von Sängerkarrieren in unseren Tagen – und beschert Ihnen rechtzeitig zur Adventszeit natürlich wie jedes Jahr schon einmal ein paar Inspirationen für die weihnachtliche Beschallung des eigenen oder des Wohnzimmers von Ihren Lieben.
Eine winterliche Lektüre wünscht Ihnen||Ihre Yeri Han