EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 12/2022|
Mit den Vorbereitungen zur Dezember-Ausgabe geht bei uns jedes Jahr ein wenig auch die Vorweihnachtszeit los – je nach Wetter und Stimmungslage fällt das mal schwerer, mal leichter. Der frühe und nach erstaunlich milden Herbsttagen auch plötzliche Wintereinbruch hat die Einstimmung auf die Adventszeit diesmal aber so leicht gemacht wie schon lange nicht mehr und gleichzeitig unkompliziert auf die vor uns liegenden Monate von behaglicher Häuslichkeit eingestimmt.
Für viele ist der Winter eine willkommene Gelegenheit, einem ereignisreichen Sommer, der mit seinen langen Tagen und schönem Wetter fast schon dazu zwingt, das Haus zu verlassen und draußen aktiv zu sein, eine Zeit der Kontemplation und des mit gutem Gewissen betriebenen Entschleunigens folgen zu lassen. Angesichts der ständigen und niedrigschwelligen Versuchung durch Bildschirme aller Art stellt sich für viele jedoch die Frage: Wie? Und womit? Wie können wir heute wieder bewusster leben?|%weiter% Absurderweise hat der Mensch es mit seinem selbstgewählten Medienkonsum inzwischen so sehr auf die Spitze getrieben, dass so mancher sich in seiner Hilflosigkeit wieder gezielt Freizeitbeschäftigungen sucht, die ihn quasi dazu zwingen, die Finger vom Handy zu lassen – das Kino beispielsweise. Da ist die Oper doch gar nicht so weit entfernt, oder? So mancher, der täglich beklagt, wie kurz seine Aufmerksamkeitsspanne geworden ist und wie sehr sein Konzentrationsvermögen nachgelassen hat, wird sich wundern, wie schnell im Dunkel eines Saals die Zeit an Bedeutung verliert (bequeme Stühle vorausgesetzt…). Musik trägt uns davon, beflügelt die Seele, kann uns in jeder Stimmungslage tröstend wie animierend und befreiend zur Seite stehen – erst recht zur Weihnachtszeit. Vor diesem Hintergrund ist dann gar nicht mehr so verwunderlich, dass Weihnachten jedes Jahr aufs Neue eine Vielzahl an neuen Alben auf den Markt spült, obwohl inzwischen eigentlich alles gesagt/gesungen worden sein dürfte. Offenbar nicht! Offenbar ist Weihnachten etwas, das trotz zahlreicher geteilter Merkmale doch immer noch so persönlich bleibt, dass man es mit anderen teilen, mit leuchtenden Augen über seine Erfahrungen sprechen und die zu diesen herzerwärmenden Erinnerungen gehörenden Klänge auch anderen zugänglich machen will. Auch in der Opernglas-Redaktion machen wir jedes Jahr wieder die Erfahrung, dass etwas schon unzählige Male Gehörtes einen auf diese Weise plötzlich wieder neu berührt, man unversehens eine neue Version in seiner Favoritenliste abspeichert.
Was sind Ihre Weihnachtstraditionen? Was lässt Sie in dieser Zeit innehalten und wofür sind Sie besonders dankbar? Sich Dinge dieser Art mit Muße und ganz bewusst vor Augen zu führen, sich auch inmitten eines vollen Terminkalenders ein paar Minuten dafür zu nehmen, kann sich wie der fokussierte Konsum von Musik positiv auf das Innenleben und die innere Balance auswirken, das Gefühl des Nicht-rund-Laufens, das so viele heute begleitet, und die damit verbundene innere Unruhe relativieren, zumindest zeitweise. Ich hoffe, dass auch die Dezember-Ausgabe, die diesen Jahreszyklus schließt, mit ihren Texten und Interviews Ihnen beim Lesen derartige Ruhepole beschert – und vielleicht auch ein wenig musikalische Inspiration für die vor uns liegenden Festtage.
In diesem Sinne: eine besinnliche Adventszeit und ein frohes Weihnachtsfest!||
Ihre Yeri Han