EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 12/2019
Hören auch Sie manchmal Podcasts, liebe Leser? Das Angebot ist riesig, und auch zum Thema Oper findet sich mittlerweile etwas, darunter der von der New Yorker Metropolitan Opera mitproduzierte „Aria Code“, der in unregelmäßigen Abständen Opernarien „dechiffriert“. Ich persönlich vertreibe mir gern die Zeit bei Bahnfahrten und Fußwegen mit dem Anhören von Podcasts und musste kürzlich aufhorchen, als ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in einer jüngeren Folge eines unterhaltsamen Gesprächspodcasts, wie sie heute in unterschiedlichsten Konstellationen so populär sind, von der zufälligen Begegnung mit einer Zugbegleiterin und Abonnentin „seiner“ Wochenzeitung berichtete, die ihn damit konfrontierte, dass sie die finanzielle Belastung, die das Abonnement für sie darstellt, zwar unter Anstrengung stemme, sich bei der Lektüre mancher Artikel aber unweigerlich fragen müsse, ob besagte Zeitung „jemanden wie sie“ überhaupt in ihrer Leserschaft haben wolle. Di Lorenzo, den dieses Erlebnis nachhaltig bewegt hatte, sagte zu dieser Episode, er lasse sich lieber „Verständlichkeitsterror“ vorwerfen, als Gefahr zu laufen, dass auch nur einer seiner Leser sich intellektuell ausgeschlossen fühle – was ohne Frage richtig ist, da es niemals um Ausgrenzung, sondern um das Mitnehmen von möglichst vielen gehen sollte.
Weiter →Auch wir, die wir jeden Monat mit einer großen Masse an Texten zu tun haben, feilen und redigieren, schreiben selbst und jonglieren tagtäglich mit Worten und Sätzen, die es sorgfältig zu wählen gilt. Die deutsche Sprache zählt zu Recht zu den ausdrucksreichsten; uns bietet sich eine Fülle an Synonymen, um das, was wir sagen wollen, variations- und nuancenreich in Worte zu fassen; manchmal ist es schon die Reihenfolge von Satzbausteinen, die einer Aussage einen ganz anderen Beigeschmack geben kann. Dass wir es im „Opernglas“ mit einem sehr spezifischen Themengebiet zu tun haben, stellt uns vor die besondere Herausforderung, für das, was wir im Opern- oder Konzertsaal erlebt haben, adäquate Formulierungen sowie ein nachvollziehbares und möglichst plastisches Narrativ zu finden, das sich nicht in manierierten Klischees ergeht, sich nicht wiederholt und nah am Realen bleibt. Manchmal stößt man dabei an sprachliche Grenzen oder reizt sie mit ein wenig Mut zur Kreativität aus – denn: Man hat etwas Hochemotionales erlebt, ist bewegt. Aber wie wandelt man das Empfundene entsprechend in Worte um? Wie beschreibt man den besonderen musikalischen Moment mit Formulierungen jenseits der technischen musikalischen Fachbegriffe? Womit vergleicht man am besten eine Stimme und ihre individuelle Farbe? Und wie findet man am ehesten ein Gleichgewicht zwischen Emotionalität und Sachlichkeit, das der Musik gerecht wird? Oder – ganz anders gefragt – vor dem Hintergrund meines Gesprächs mit Olga Neuwirth, die die wörtliche Beschreibung von Musik ablehnt: Wie abstrakt kann/muss die Beschreibung von Musik sein?
Wir streben Monat für Monat danach, dem ganzheitlichen Erlebnis Oper mit Worten so nah wie möglich zu kommen und es auf diesem Wege mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen – und man kann es nicht oft genug in aller Deutlichkeit sagen: Die Oper ist kein Genre, das Menschen ausschließt, sondern uns im Gegenteil den Geist von branchen-, kunst- und auch nationenübergreifender Gemeinschaftlichkeit aktiv (vor-) leben kann. Gerade zur beginnenden Weihnachtszeit, in die auch wir mit unserer aus allen Nähten platzenden Dezemberausgabe einsteigen, ist das eine Tugend, derer wir uns jetzt besonders erinnern und die wir aktiv leben sollten – eignen sich die Adventswochen als Zeit der Heimkehr, der Familie und Freunde doch seit jeher mehr als jede andere dafür, sich bewusst und vor allem mit Freude auf die verbindenden, nicht die trennenden Dinge zurückzubesinnen.
„Das Opernglas“ freut sich gemeinsam mit Ihnen schon jetzt auf ein musikalisches 2020, auf die Herausforderungen und spannenden Themen, die zwölf neue Monate mit sich bringen, und so wünsche ich Ihnen an dieser Stelle im Namen der gesamten Redaktion besinnliche Festtage und einen guten Übergang ins neue Jahr.