Editorial
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 12/2013
Von Null auf Hundert: Mit einer eindrucksvollen Leistungsschau zur Eröffnung des neuen, prachtvollen Opernhauses in Astana hat sich die kasachische Hauptstadt in das internationale Bewusstsein gespielt und sogleich einen markanten Punkt auf die Weltkarte der Oper gesetzt.
Weiter →Etwaigen Fragezeichen bezüglich Potenzial und langfristiger Zukunftschancen des ungewöhnlichen Unternehmens wurde ein kräftiges Ausrufezeichen entgegen-gesetzt, das angesichts der geballten visionären Kraft und Investitionsbereitschaft in Sachen Musiktheater ebenso bewundernde wie neidvolle Blicke aus den derzeit wirtschaftlich eher leidgeprüften Opernzentren des Westens auf sich ziehen wird.
Mit dem nötigen Kleingeld und einem engagierten Willen, dieses für die Kunst auszugeben, kann man sich vieles leisten: ein Theater in größter Dimension, Technik auf dem neuesten Stand, erstklassig zusammengestellte Kollektive, international renommierte Gäste – oder eben gleich alles zusammen.
Bemerkenswert an dieser Hauseröffnung in der zentralasiatischen Steppe ist aber nicht allein der Ehrgeiz, zu einer internationalen Topadresse in Sachen Musiktheater aufsteigen zu wollen, sondern vor allem der Wunsch, die Oper zu einer starken Marke zu machen, die einmal als Synonym stehen soll für die Hauptstadt und damit das ganze Land, vergleichbar mit den jeweils das Bild einer Nation prägenden Institutionen in Wien, Mailand, Sydney. Ob sich dieses Ziel realisieren lassen wird, ist dabei weniger relevant als die außerordentliche Bedeutung, die damit der Oper generell zuerkannt wird – und das in einem Land, das von den europäischen Urzellen dieser Kunst nicht weniger weit entfernt liegt als von einer eigenen, gewachsenen Musiktheater-Tradition. Das ist ein deutliches Signal auch an das kulturelle Selbstverständnis des Westens.
Zur feierlichen Hauseröffnung in Astana stand – natürlich – eine Verdi-Oper auf dem Programm, was die ohnehin schon eindrucksvolle Liste der Premierenberichte in dieser Ausgabe um eine weitere spannende Begegnung mit den Werken des italienischen Komponisten erweitert. Als Höhepunkte des Verdi-Jahres kamen in den vergangenen Wochen insbesondere frühe und weniger gespielte Opern zum Zuge, Hamburg wagte sich gar an den Kraftakt einer Trilogie der Raritäten und zeigt sich damit an der Spitze der kreativen Jubiläums-Aktivitäten hierzulande. Hatte man in der Hansestadt eben noch im „Irgendwie“ des Mittelmaßes gedümpelt, wurde die Marke „Hamburgische Staatsoper“ damit auch international wieder ein Begriff. So schnell kann das gehen. Und das Publikum gibt dem engagierten Einsatz recht: „Mehr davon!“ so der eindeutige Tenor hier wie auch in London, Bielefeld oder Mönchengladbach, wo man ebenfalls mit selten gespielten Verdis punktete.
Es bleibt zu wünschen, dass sich mit einer stärkeren Hinwendung zu derartigen Stücken auch wieder mehr Stimmen herausbilden werden, die den besonderen Herausforderungen dieses Repertoires gewachsen sind. Besetzungen wie jetzt in Londons »Vêpres« sind heute nur noch selten zu erleben. Dennoch kann man durchaus immer wieder tollen Stimmen begegnen – wie jener des südkoreanischen Tenors Yonghoon Lee, dessen Interview in dieser Ausgabe sich ebenso aufschlussreich liest wie die Gespräche mit Anja Harteros und Christiane Kohl, die sich gerade beide, zumal in sehr ähnlichem Fach, innerhalb weniger Monate gleich zwei große Rollendebüts vorgenommen haben: Zweifache Leonora trifft doppelte Elisabeth.
Alle drei Sänger berichten auf ganz unterschiedliche Art auch von den Herausforderungen einer Karriere, die einen hohen Anspruch an die eigene Kunst mit dem Privaten, dem Leben mit Partner, Kind, Familie, Freunden zu vereinen sucht. Titelkünstlerin Anja Harteros, die man ohne Übertreibung eine Starsopranistin nennen könnte, möchte den Mechanismen eines zu sehr vom Wesentlichen ablenkenden Systems am liebsten ganz entgehen. Ich freue mich daher sehr, dass wir sie dennoch nicht nur zum ausführlichen Interview sondern auch zu einem exklusiven Fotoshooting für unser Magazin bewegen konnten.
Freuen Sie sich also auf abwechslungsreiche Lektüre in einer hoffentlich schönen, friedlichen Vorweihnachtszeit!
PS – Geben Sie Ihre eigene Begeisterung doch mit einem Geschenk-Abo weiter: Gutschein und erste Ausgabe werden wie immer rechtzeitig zum Fest versandt und garantieren Vorfreude für ein ganzes Jahr!