EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 11/2018
Sie ist wahrlich eine Marke, keine Frage. Cecilia Bartoli macht eine Karriere, wie sie mit keiner anderen vergleichbar ist, und hat es als eine der ganz wenigen Opernstars geschafft, auch über die reine Klassikschiene hinaus so bekannt zu werden, dass sich selbst mit dem exotischsten Randrepertoire, von Produzenten üblicherweise eher gemieden, bemerkenswerte Erfolge erzielen lassen. Und das seit nunmehr 30 Jahren: CD-Verkäufe und Streamingquoten, selbst die Saalauslastung entsprechend programmierter Tour-Konzerte erzielen immer wieder erstaunliche Werte dank der Prominenz einer Sängerin, die sich im heiß umkämpften Markt sehr früh, sehr klug eine Nische gesucht hat, in der sie sich mit bemerkenswert treffsicherer Selbsteinschätzung und höchstem Anspruch an sich selbst regelrecht vergräbt, um dann mit teilweise überraschenden musikhistorischen Entdeckungen aus den Archiven zu steigen und ihre Fans ein ums andere Mal mit Musik zu beglücken, die wir alle sonst vermutlich nie gehört hätten. Dass die Sängerin diese mit ihr schon fast sprichwörtlich verbundene Erwartungshaltung hin und wieder mit der einen oder anderen Opernpartie des Standardrepertoires unterläuft, macht als raffiniert getimter Überraschungsmoment einen Gutteil ihres Erfolges aus.
Weiter →Eine derartige, im positiven Sinne eigensinnige Karriereplanung muss man sich erlauben können. Und drei Jahrzehnte bei ein und derselben produzierenden „Plattenfirma“ (Decca) sind beileibe keine Selbstverständlichkeit. Was nach außen wie eine große, konstante Erfolgsgeschichte wirkt, ist ein durchaus fragiles Konstrukt. Die „Marke-Bartoli“ findet entlang der Eckpfeiler einer Strategie statt; Interviews sind vorzugsweise zu den Veröffentlichungen ihrer Neueinspielungen zu terminieren, andere redaktionelle Ideen, die man bei einer so umtriebig aktiven Künstlerin, die „nebenbei“ auch Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele ist, durchaus haben kann, werden von ihrem Umfeld als weniger förderlich angesehen. Das mag auf den ersten Blick irritieren, wird aber verständlich(er) angesichts der generellen Schwierigkeiten, heute überhaupt noch neue Produkte in größerer Stückzahl auf dem internationalen Markt unter die Leute zu bringen.
Wen wundert’s da, dass man eine so starke Außenwirkung, wie sie eine „Opernglas“-Titelstory nun einmal hat, am liebsten zielgerichtet genutzt wissen will: passgenau zum nächsten VÖ-Termin von den Neuheiten der jeweiligen Stars, mögen sie Cecilia, Anna oder Jonas heißen. Diese und alle anderen tollen, interessanten Künstler sind aber bei kritischen wie begeisterungsfähigen Opernbesuchern jederzeit ein Thema, das hören wir nicht zuletzt auch immer wieder von Ihnen, liebe Leser. Und großartige Leistungen auf den Bühnen „über das Jahr“ festigen den Ruf eines Sängers ohnehin weit stärker, dauerhafter als jede noch so inflationär lancierte PR. Die nachfolgenden Premierenberichte belegen es mehr als eindrucksvoll – einen wirklich nachhaltigen Erfolg beim Publikum sichern in der Regel vor allem zwei Dinge: Stimme und Persönlichkeit.