EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 10/2020
Die Spielzeit ist eröffnet. Viele von uns haben mit Spannung und Vorfreude dessen geharrt, was die Opernhäuser hierzulande sich haben einfallen lassen, um den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu können, und dank der großen Häuserdichte, die der deutschsprachige Raum aufweist, bietet sich aktuell ein recht interessanter Flächenvergleich, wie mit der Lage umgegangen und mit welchen Konzepten ihr begegnet wird. Die einen setzen vorrangig auf die Einhaltung von Abstandsregeln im Orchestergraben wie auf der Bühne, die anderen auf konsequentes Testen in hoher Frequenz, um volle Besetzungen und ein „normales“ Bühnengeschehen zu gewährleisten. Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass zahlreiche, vorrangig kleinere Bühnen bisher „nur“ ihre modifizierten Programme bis Herbst veröffentlicht haben und mit der weiteren Gestaltung ihrer Spielpläne notgedrungen warten, bis die Lage ihnen die entsprechende Planungssicherheit gewährt.
Weiter →Was stets deutlich wird, ist der Mammut-Akt, den die Rückkehr zum Spielbetrieb bedeutet – das zeigt sich im Bemühen um die Sicherheit aller Beteiligten und natürlich auch der Zuschauer, die sich im Saal gut aufgehoben fühlen sollen; es wird deutlich in der Anspannung, die man der Szene nach wie vor anmerkt, aber auch in der Dankbarkeit und Freude, die ohne Worte im Anschluss an eine Aufführung zwischen Bühne und Auditorium hin- und herfließt. Es ist sicherlich eine berechtigte, aber zu einem gewissen Grad auch müßige Frage, was in dieser Zeit der optimale Weg ist, Musik auf die Bühne zu bringen – es gibt ihn schlicht und ergreifend nicht. „Operndestillate“, wie einer unserer Autoren es so treffend formuliert, verblassen zwar ohne Frage gegen die Pracht eines ungebremsten Strauss-Klangs, in dessen Genuss das Publikum der Wiener Staatsoper zur Saisoneröffnung kam, und es ist eine völlig legitime Entscheidung, wenn man Werke aus Prinzip nicht „um jeden Preis“ zur Aufführung bringen will und dafür gänzlich umdisponiert, weil man „Destillate“ nicht mit seiner künstlerischen Vision vereinbaren kann. Die wichtige Botschaft ist „Wir sind da. Es gibt uns nach wie vor“, wie Sonya Yoncheva es im großen Interview in dieser Ausgabe auf den Punkt bringt.
Auch die anderen drei Porträts im Oktober sind ein interessanter Spiegel der Zeit – wir haben mit Titelkünstlerin Regula Mühlemann, dem jungen Countertenor Samuel Mariño und dem mit internationalen Preisen überhäuften chinesischen Tenor Long Long einen Fokus auf drei junge aufstrebende Sänger gelegt, die aus den unterschiedlichsten persönlichen Blickwinkeln (und Stimmlagen!) einerseits über ihren steil aufwärts führenden Karriereweg sprechen, andererseits aber auch zu den Rückschlägen und unverhofften Chancen der vergangenen Monate etwas zu sagen haben.
Ich hoffe, dass diese Ausgabe auch Ihnen, liebe Leser, einen interessanten und vielseitigen Überblick über das aktuelle Bühnen- und Operngeschehen gibt – in Zeiten, in denen man sich das Herumreisen gründlicher als sonst überlegt, würde ich mich freuen, wenn „Das Opernglas“ Ihnen vielleicht sogar ein noch aufschlussreicherer Begleiter als in anderen Zeiten sein kann.