EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 10/2017
Feiertag – Freudentag? Ob in diesem Jahr am 3. Oktober tatsächlich in ganz Deutschland eine gehobene, frohe Stimmung vorherrschen wird? Die Ergebnisse der Bundestagswahl dürften da noch zu frisch, die zukünftigen Machtverhältnisse so oder so nicht jedem genehm sein. Und obwohl auch das Thema „Deutsche Einheit“ heute – für viele immer noch, für manche bereits wieder – ein schwieriges, längst von neuen Faktoren belastetes Reizthema ist, das eben nicht per se in ungetrübte Feierlaune versetzt, bietet dieser geschichtsträchtige Tag in diesem Jahr just in Berlin einen besonders guten Grund zum Feiern: Mit durchaus staatstragendem Hintergedanken auf diesen Abend terminiert, kehrt die Staatsoper am 3. Oktober in ihr Stammhaus Unter den Linden zurück.
Weiter →Der feierliche Wiedereinzug in den Knobelsdorff‘schen Prachtbau ist gleichwohl nur ein Appetizer, werden die Pforten doch nach wenigen Tagen gleich wieder für zwei weitere Monate zugesperrt. Eine irgendwie auch schon wieder typisch berlinerische Pointe angesichts der schier endlosen, kostentreibenden Querelen, die das Großunternehmen Staatopern-Sanierung von ursprünglich drei auf sieben Jahre hatte anschwellen lassen. Was sind da schon ein paar Wochen mehr? Die Berliner – und mit ihnen eine auch in den Interims-Spielzeiten im Schiller Theater überwiegend treu und neugierig gebliebene internationale Gästeschar – haben viel zu lange auf diesen Moment gewartet, als dass sie sich jetzt noch von der Sorge beirren ließen, dass es bis zum 7. Dezember, wenn das Haus (nur zufälligerweise am Tag des Heiligen Ambrosius und damit der traditionellen Scala-Eröffnung?) endlich seinen regulären Spielbetrieb aufnehmen soll, unter Umständen doch noch unerwartete Komplikationen geben könnte. War nicht erst im vorigen Jahr zu Saisonbeginn die Brüsseler Oper mit der Hiobsbotschaft konfrontiert worden, dass die unmittelbar im Dezember bevorstehende Wiedereröffnung doch noch abgesagt werden muss? Vom skandalösen Kölner Operndebakel ganz zu schweigen. Jetzt, fast ein ganzes Jahr später als geplant, ist immerhin das prachtvolle La Monnaie tatsächlich feierlich wiedereröffnet worden, programmatisch aussagekräftig mit einem neuen Werk für Musiktheater. Ein Großereignis, zu dem selbstredend auch das belgische Königspaar erschien.
Es ist ein wahrhaft goldener, in aufgefrischten Farben strahlender Herbst der Wiedereröffnungen. Im Oktober wird auch das Ensemble des Münchner Gärtnerplatztheaters in sein Stammhaus zurückkehren; eine fünf Jahre andauernde Grunderneuerung findet ihr glückliches Ende. Und das bereits erwähnte Köln? Nachdem man in der Rheinmetropole schon einmal kurz vor einer Wiedereröffnung gestanden hatte, geht man hier derzeit von einer Verzögerung bis Oktober 2022 (!) aus, bei dann aufsummierten Gesamtkosten (inklusive Interimsspielstätten), die über der Marke der 789-Milliarden-Investition für den Bau der Hamburger Elbphilharmonie liegen werden. Kein Wunder, dass auch in einigen anderen Städten – in naher Zukunft werden schließlich etliche weitere Theater-, Konzert- und Opernhäuser ihre vielfach schon zu lange hinausgezögerten Sanierungen angehen müssen – jetzt wieder verstärkt darüber diskutiert wird, ob Abriss und Neubau nicht doch die sinnvolleren, weil kostengünstigeren Alternativen wären, so derzeit in Düsseldorf oder Frankfurt, ja groteskerweise selbst in Stuttgart.
Dort hat die Oper allerdings grad ganz andere Sorgen. Georg Fritzsch, musikalischer Leiter der nun im Oktober aller Unbill durch die Inhaftierung ihres russischen Regisseurs zum Trotz zur Premiere gelangenden Neuproduktion von »Hänsel und Gretel«, hat dazu im aktuellen „Opernglas“-Interview persönliche Erinnerungen parat, verbunden mit einem Apell: Der Dirigent, in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen, mahnt uns alle nachdrücklich, das hohe Gut der Freiheit wertzuschätzen und gegebenenfalls auch zu verteidigen. Eindringliche Worte, die in diesen Tagen besondere Gültigkeit haben – in vielerlei Hinsicht.