EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 09/2023|
Da verabschiedet man sich den einen Moment noch fröhlich in den Festspielsommer und in einen Monat voller musikalischer Impressionen – und gefühlt im nächsten hält man auf einmal schon die September-Ausgabe in der Hand und blättert durch eine zum Bersten gefüllte Festspiel-Rubrik, in der wir unsere vielen Eindrücke der zurückliegenden Wochen mit Ihnen teilen dürfen. Gleichzeitig hat die Festivalsaison noch lange nicht ausgespielt; wir befinden uns daher in der wie immer luxuriösen, aber auch ereignisreichen Phase eines Jahres, in der das große, punktuelle Sommerevent und der parallel dazu wieder anlaufende Theaterbetrieb des nahenden Herbstes einander zunicken und uns Opernfans mit ihrem Angebot verwöhnen. Thematisch recht passend dazu haben wir Pietari Inkinen, den Dirigenten des vom Publikum umjubelten Bayreuther »Ring«-Zyklus, unmittelbar vor der letzten Tetralogie zu einer Art ausführlicher „Nachlese“ aus drei Jahren Grünem Hügel gewinnen können, während mit dem deutsch-brasilianischen Tenor Martin Muehle eine verlässliche Kraft des großen italienischen Repertoires Lust macht auf die neue Spielzeit.%weiter%
Die Magie dieser Kollektiverfahrung namens Musik endet nie – und man kann bei näherer Überlegung nur schwer entscheiden, wann sie ihre ganze Kraft besonders entfaltet, ob im Sommer, wenn man voller Vorfreude zu einem Ereignis in der Ferne gepilgert ist, so wie es nach wie vor viele für Bayreuth, Salzburg oder natürlich auch Verona tun, oder dann, wenn man sich zusammen mit seinem lokalen Anbieter für schöne Opernproduktionen wieder in die Routine einer Spielzeit begibt mit all ihren Höhen und Tiefen. Oftmals versteckt sich die große Wirkung aber gar nicht so sehr im Spektakulären, wie man meinen könnte, oder im visuellen Großformat mit den genau feststehenden Abläufen der dahinter surrenden Maschinerie; stattdessen lohnt sich auch immer wieder der bewusste Blick und das Wagnis im Kleinen, wo in ungewohnten Formaten oder dem schlankeren Aufmarsch von kleineren Musikerrunden die Musik noch einmal ihre ganze kraftvolle und vor allem auch mitreißende Dynamik enthalten, den Zuschauer aufrichtig begeistern und nachhaltig inspirieren kann. Je stärker wir die Nähe und Intimität zum Künstler, wie sie auch im Liederabend so vortrefflich zum Vorschein kommen kann, zu fühlen imstande sind, desto mehr kann in unseren Köpfen und in unseren lauschenden Körpern geschehen – und vor allem wird uns in diesem bewussten, hautnahen Erleben erneut vor Augen geführt, wieviel Passion, wieviel Gabe und vor allem wie viel Durchhaltevermögen, Geduld und Beständigkeit hinter diesem Bühnenmoment liegen. In einer Zeit, in der das Schnelle und Schnelllebige es so viel einfacher haben und dank mobiler Endgeräte den Menschen immer leichter dazu verleiten, sich aus Bequemlichkeit für das schnelle und unkomplizierte Vergnügen zu entscheiden, weiß man in diesen Momenten erneut aus vollem Herzen das aus jahrelanger Hingabe erwachsende geistige Privileg zu schätzen, Musik für sich selbst oder andere machen und Musik auch bewusst erleben zu können. Dass dieses Privileg zunehmend davon abhängt, wie viel ein privater Haushalt seinen Angehörigen aus eigener Kraft und eigenem Interesse zu ermöglichen imstande ist, mag den ein oder anderen abermals pessimistisch stimmen, was die Zukunft von Kunst und Kultur betrifft. Doch solange diese aus tiefster Seele sprudelnde, den gesamten Körper erfassende Freude von Musik eben ihr vorbehalten bleibt, wird sie ganz sicher da sein, und mit ihr diese verschworene Gemeinde, als deren Teil Sie, liebe Leser, und auch wir uns bezeichnen dürfen.|
In diesem Sinne bin ich gespannt, welcher Festspielbericht besonders Ihr Interesse weckt, und wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Schmökern!||
Ihre Yeri Han