EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 07-08/2023|
Eine prall gefüllte Festspielausgabe liegt vor Ihnen, liebe Leser, und
das bedeutet wie jedes Jahr, dass wir Sie nun mit ordentlich Proviant
an Lesestoff über die zu Ende gehende Spielzeit und mit dem obligatorischen
Ausblick auf die Höhepunkte des Sommers und der damit
verbundenen Vorfreude in die kommenden zwei Monate entlassen. Diese haben
– wie jedes Jahr – viel zu bieten, denn Festspielzeit ist wie immer auch die Zeit
für breitenwirksamen Bombast, aber auch für das Experimentelle, Ungewöhnliche,
für das Festspiele so prädestiniert sind.%weiter% Beides bringen wir Ihnen hoffentlich
auf den folgenden Seiten näher – denn nicht nur im Saisonfinale, sondern vor
allem auch in den ausführlichen Gesprächen, die wir mit einigen Protagonisten
der letzten großen Spielzeitpremieren und der anstehenden Wochen führen
durften, werden viele zentrale Facetten dieser Branche aus den verschiedensten
Perspektiven beleuchtet; sie lassen uns für einen Moment hinter die Fassade der
Momentaufnahme blicken, die wir als Zuschauer auf der Bühne zu sehen bekommen,
vermitteln Ihnen und uns hautnah, welch lange, nicht immer geradlinige
Reise mitunter bis zu diesem einen Bühnenmoment führt, und teilen offen ihre
Gedanken zu den zahlreichen Herausforderungen dieser Zeit, mit denen auch
die Oper zu kämpfen hat. So verschieden jeder Mensch ist und folglich auch die
Gedanken und Ansichten, die er an den Tisch bringt – immer wieder zeichnen
sich doch auch verbindende Parallelen und zentrale Stichworte ab, die offenbar
für alle gelten, die es bis nach ganz oben schaffen: Leidenschaft für die Musik,
harte und akribische Arbeit, menschliche Beziehungen, Timing, Glaube an sich,
aber auch an andere, Geschichten-Erzählen, die anstecken und einen Nerv treffen.
Und ist es letzten Endes nicht die Quintessenz genau dieser Dinge, die auch uns
immer wieder aufs Neue begeistert und allen Unkenrufen zum Trotz das Publikum
in die Säle holt? Sogar der vorkenntnislose Opernnovize spürt bei seinem allerersten
Besuch sofort, wieviel Kunstfertigkeit und Leistung dahinterstecken muss,
und es ist immer auch ein wenig jene Ahnung von der harten, in diesem einen
Live-Moment kulminierenden Arbeit und des Herzbluts der Beteiligten, die den
Reiz eines solchen vergänglichen Augenblicks für alle ausmacht. So werden wir
im Sommer natürlich voller Spannung mitfiebern, wenn Joseph Calleja bei den
diesjährigen Bayreuther Festspielen mit dem Parsifal seine erste Wagner-Partie
überhaupt singt und mit Elīna Garanča an seiner Seite ein weiterer großer Star
sein Hügel-Debüt gibt. Wir werden gespannt sein, in welche Welten genau uns
das AR-Konzept von Jay Scheib, mit dem wir schon vergangenes Jahr darüber
sprachen, im Festspielhaus katapultiert. Wir werden uns auf die großen Bühnen
freuen, die Verona und Salzburg auch dieses Jahr einer nicht enden wollenden
Parade von klangvollen Namen bereiten, aber mit genauso großer Neugier und
Freude auch erkunden, was andernorts quasi um die Ecke, in unmittelbarer Nachbarschaft,
auf die Beine gestellt wird, abseits der Hochburgen und Metropolen,
wo aber ebenfalls Menschen leben und Musik lieben.
Liebe zur Musik, Liebe zu guten Geschichten waren schon immer die Schlüssel
zu den Herzen der Menschen, Musik setzt in uns auf einmalige Weise selbst
älteste Erinnerungen frei, als erlebten wir sie aufs Neue, während der bewusste
Konsum von Geschichten unsere Spezies zu dem gemacht hat, was sie ist. Eine
Kunstform, die beides und noch viel mehr vereint und gerade ihr Potenzial im
kreativen Zusammenbringen von Künsten verstärkt erkundet und ausprobiert,
sollte sich keine Sorgen um ihre Zukunft machen müssen. Sie wird uns weiterhin,
in welcher neu- oder andersartigen Form auch immer, Freude und einzigartige
Erinnerungen bereiten und Menschen zusammenbringen.
Mit diesem bejahenden Gedanken entlasse ich Sie nun aber in die Lektüre der vor
Ihnen liegenden Seiten und wünsche Ihnen im Namen des gesamten „Opernglas“-
Teams einen wunderbaren Sommer voller Musik und schöner Momente.||
Ihre Yeri Han