Editorial
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 7-8/2016
Unwiderstehlicher Esprit und ansteckende (Vor-) Freude auf dem Cover, gefolgt von üppigem Lesestoff für den Sommer auf 160 Seiten: Das ist die Festspielausgabe 2016.
Lassen Sie sich verführen und inspirieren, liebe Leser!
Weiter →Lassen Sie sich mitreißen von unserem quirligen Titel-Wirbelwind Pretty Yende, deren furiose Karriere den Status „Shooting Star“ in kürzester Zeit hinter sich gelassen hat und just in diesen Monaten so richtig Fahrt aufnimmt. Freuen Sie sich mit Georg Zeppenfeld auf den neuen, mit größter Spannung erwarteten »Parsifal« in Bayreuth, fiebern Sie mit Michele Mariotti gleich mehreren stargespickten Premieren oder mit Ana Durlovski ihren beiden so unterschiedlichen Debüts entgegen. Lassen Sie sich anstecken von Thomas Hampsons Begeisterung für das Lied und Andrés Orozco-Estradas Einsatzfreude für den unterschätzten Belcantisten Otto Nicolai, feiern Sie mit Jochen Schönleber Jubiläum beim kleinen, feinen Festival Rossini in Wildbad, schwelgen Sie zusammen mit Ruth Hesse in Erinnerungen an vergangene Opernzeiten… Und lassen Sie sich inspirieren von den zahlreichen ausführlichen Berichten unserer Autoren, die ebenso fundiert wie lebendig die jüngsten Höhepunkte auf den Opernbühnen Revue passieren lassen. Gefeierte Premiere oder Reinfall? Schwache Leistung oder triumphales Debüt? Lesen Sie selbst.
Der Festspielsommer ist immer ein guter Anlass und idealer Rahmen für eine entspannte Konzentration auf die Vielseitigkeit und Großartigkeit der Künste. Eine willkommene Entschleunigung und Fokussierung in einer immer hektischeren, schnelllebigeren Zeit, die uns mit Angebotsvielfalt und permanenter Reizüberflutung zu einer oberflächlichen Häppchenkultur verleiten will. „Nur nicht überfordern“, lautet allenthalben die Devise. Wen wundert es da, dass die Bereitschaft, sich auf zeitintensive, Aufmerksamkeit einfordernde Unternehmungen einzulassen, immer weiter sinkt. Klassikfans dagegen – und insbesondere die Operngänger – trotzen dem allgemeinen Trend noch immer mit einer komplett gegenläufigen Tendenz. Wir durchleben mit Genuss die epischen Längen der Sinfonien eines Gustav Mahler oder Anton Bruckner, sind selbst nach einem zweistündigen ersten Akt »Götterdämmerung« hellwach, voller Vorfreude auf die beiden noch ausstehenden Sitzungen! Zugegeben, nicht jede Vorstellung erreicht Gefühl und/oder Intellekt in dem Maße, dass Schwächen – auch konditioneller Art – auf der Bühne, im Orchestergraben (oder bei einem selbst) über die gesamte Spieldauer gänzlich ausgeblendet bleiben. Auch eine kurze Oper kann recht lang werden. Aber wer einmal beglückende Aufführungen eines »Tristan«, des fünfaktigen »Don Carlo«, eines ungestrichenen »Tell« oder das volle, herrliche da capo-Programm einer Barockoper erlebt hat, der weiß: Die Konzentrationskurve muss mit zunehmender Spieldauer keineswegs sinken. Im Gegenteil! Das wäre durchaus auch einmal eine lohnende Erfahrung für all jene, die meinen, Aufmerksamkeit wäre heute grundsätzlich nur noch in Kurzintervallen zu erreichen.
Wie passend als Signal und wie mutig und erfrischend als innovative Pioniertat, dass sich der neue Kultur-Sender „Sky Arts“ gleich zum Auftakt ausgerechnet an das monumentale Gesamtkunstwerk der Oper wagt: mit einer Übertragung der kompletten Wagnerschen Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« – direkt vom Grünen Hügel. Die Bayreuther Festspiele als Live-Event im TV: eine Sensation!
Für solche und viele weitere Erlebnisse der besonderen Art bietet dieser Festspielsommer ein Füllhorn an Optionen, die Sie am besten live vor Ort erleben, egal ob im Festspielhaus oder Schlosshof, in der Scheune oder auf der Seebühne. „Das Opernglas“ ist hier einmal mehr Ihr Wegweiser: Was lohnt sich wo, wann und warum? Eine „Qual der Wahl“, die für uns alle längst zur Gewohnheit geworden ist. Doch bleibt sie ein fragiler, vergänglicher Luxus, dessen Wert wir nicht hoch genug schätzen können. Und Vielfalt – in jeglicher Form und allen Bereichen die Wahl zu haben oder schlicht wählen zu können – ist ein ganz wesentlicher Wert unserer Kultur wie auch unserer Gesellschaft. Auch das sollten wir gerade in diesen Tagen nicht vergessen.
In diesem Sinne eine schöne, erlebnisreiche und erfüllende Festspielzeit!