EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 06/2024||Vieles in der Oper und im Erlebnis Oper dreht sich um Erwartungen und Erwartungshaltungen – so gehen wir in ein uns bereits bekanntes oder gar vertrautes Werk mit recht spezifischen Ansprüchen und Hörgewohnheiten, in eine neue Inszenierung oftmals mit der Hoffnung oder Erwartung, vom Regisseur möglichst viel erfrischende Kreativität und/oder eine ganz neue Sicht auf die erzählte Geschichte serviert zu bekommen. Oder auch gar nichts davon, sondern im Gegenteil einfach nur etwas „fürs Auge“, wie ein schöner Zeffirelli. Auge, Ohr und Geist wollen gemäß dem individuellen Geschmack bestmöglich unterhalten werden. Aber wie genau erschafft man zwischen diesen Polen Kunst für ein immer neues, immer wieder anderes Publikum? Wie nimmt man so viele unterschiedliche Menschen mit auf eine kreative Reise, die den Geist fordert, aber auch nicht so sehr überfordert, dass man seinen Zuschauer auf halber Strecke verliert?%weiter%Und ist es wirklich so, wie manche meinen, dass eine Inszenierung, die erklärt werden muss, ihren Zweck verfehlt hat? Vielleicht trifft David Böschs Vergleich mit einem Handschlag zwischen Bühne und Auditorium es ganz gut – beide Seiten sind hier gefragt, müssen sich aktiv ein wenig ausstrecken, einander entgegenkommen, wenn der Kontakt stattfinden und auch halten soll. Immer wieder äußern Kunstschaffende wie Künstler in diesem Zusammenhang die positive Erfahrung, dass man dem Publikum da mehr zumuten könne, als man oft meint. Und sicherlich ist da was dran, wenn man das große Interesse an Werken abseits des häufig gespielten Kanons, aber auch die Erwartung – da ist das Wort wieder – von möglichst großer Progressivität an Kreativteams als Parameter heranzieht.
Was ist aber, wenn Erwartungen aus irgendeinem Grund nicht erfüllt werden? Dann wird die gereichte Hand doch auch sehr kaltherzig wieder entzogen, jeder Anspruch von Offenheit und Milde wieder fallen gelassen. Eine kleine Probe aufs Exempel haben da gerade erst die Gluck Festspiele unfreiwillig machen müssen, als die in ihrer Ausführlichkeit zugebenermaßen sehr ambitioniert geratene Eröffnungsrede von Pater Anselm Grün von einigen zu ungeduldigen Wutbürgern mutierten Gästen massiv gestört wurde – um endlich in den Genuss von Glucks Musik zu kommen, in der es ironischerweise doch genau um Menschlichkeit, Milde und humanistische Werte gehen sollte. Vielleicht wäre es mal erhellend zu ergründen, warum so viele Konsumenten einer Sache, bei der es primär um das Schöne, das „aufbrechende Herz“ und Menschlichkeit geht, plötzlich auf so verwunderliche Weise verhärten und verrohen, dass die Regeln des zivilisierten Miteinanders sogar im vermeintlich so zivilisierten Opernsaal ausgehebelt werden können.
Auf der Zielgerade zum Festspielsommer freuen wir uns jedenfalls, wieder ganz verschiedene Premieren- aber auch ein paar gelungene Wiederaufnahmen-Eindrücke mit Ihnen zu teilen und daneben mit Jennifer O’Loughlin vom Münchner Gärtnerplatztheater und dem bereits zitierten David Bösch zwei Gesprächspartner präsentieren zu dürfen, die mit viel Tiefgang über ihren Beruf sprechen – und über Hoffnungen, die sie hegen, und Erwartungen, die sie an sich stellen beziehungsweise mit denen sie umgehen müssen.
Eine Ausgabe, die Ihnen hoffentlich ebenso wie uns Lust auf den Sommer macht!||
Ihre Yeri Han