EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 6/2020
Welche Welt erwartet die Opern- und Klassikszene, sobald die Corona-Krise überstanden ist? Diese Frage stellen in der aktuellen Ausgabe sowohl Dirigent Constantin Trinks in einem zu denken gebenden persönlichen Artikel als auch Tenor Jonas Kaufmann im Interview. Wie viele Häuser und Bühnen wird es auch nach der Krise noch geben? Wie viele Musiker werden diese dann noch beschäftigen? Welche neuen Sparmaßnahmen werden die Kultur treffen, an der die Länder schon in der Vergangenheit häufig gespart haben und es auch vermutlich weiterhin tun werden?
Weiter →Es wird dieser Tage häufig darüber gesprochen, wie viele Lebensbereiche einen massiven Strukturwandel erleben werden im Zuge von Digitalisierung und neuen Arbeitsstrukturen angesichts von Homeoffice et cetera. Inwiefern auch das Opern- und Konzertleben in der näheren Zukunft betroffen sein werden, ist sicherlich eine ebenfalls relevante Frage, solange nicht abzusehen ist, ab wann in welcher Form die Häuser wieder öffnen und vor wie vielen Zuschauern sie vor Ort werden spielen dürfen. Als erste Beispiele gehen dieser Tage die Internationalen Maifestspiele Wiesbaden mit einem modifizierten Ersatzprogramm voran ebenso wie das Rossini Opera Festival von Pesaro, das einigermaßen überraschend verkündet hat, in diesem Jahr allen Widrigkeiten zum Trotz ein Programm anbieten zu wollen – so wird die Neuproduktion von »La cambiale di matrimonio« mit dem Orchester im Parkett und einem in den Rängen platzierten Publikum zur Premiere kommen, die letzte Vorstellung soll es zudem als frei zugänglichen Online-Stream geben.
Es wird sich zeigen, wie lange die Opernszene mit in solcher Form heruntergeschraubtem Publikum, möglicherweise auch parallel verringerten Musikerzahlen zum Schutz der Beteiligten, sowie mit Streamings leben kann – und daraus folgend mit weniger verkauften Tickets, sinkenden Subventionen und einer schwindenden Zahl an freien Künstlern und Arbeitnehmern des Kultursektors. Zumindest Streamings werden uns sicherlich noch länger begleiten und zu einem relativ festen Bestandteil des Kulturkonsums werden – auch wenn nicht nur die beteiligten Künstler, sondern zunehmend auch die anfangs von diesem Ersatzangebot euphorisierten Abnehmer immer sehnsüchtiger auf die Option hoffen, wieder die Wahl zu bekommen zwischen dem „richtigen“ und dem digitalen Konzertsaal. Wiesbaden und Pesaro sind hierbei Hoffnungsträger für dieses krisengebeutelte Jahr 2020, die gleichzeitig aber auch viele neue Fragen nach dem „Danach“ und einer nicht sentimental verklärten, sondern auf den Punkt gebrachten realistischen Perspektive für den Regelbetrieb nach dem allgemeinen Spielstopp aufwerfen. Auch die neue Saison wird mit Sicherheit noch von Auswirkungen und Schutzmaßnahmen betroffen sein, die ein gut austariertes Gleichgewicht zwischen Fortsetzung von Kunst und Wirtschaftlichkeit des Betriebs erfordern werden.
Ihnen, liebe Leser, wünsche ich derweil trotz alledem wie immer eine inspirierende Lektüre der folgenden Seiten!
Ihre Yeri Han