EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 3/2017
Wie hätten Sie’s denn gern? Mit kostenlosem Programmheft oder Gratis-Getränken? Mit einem Gutschein für freies Parken oder doch lieber einer Eintrittskarte, die gleichzeitig als Ticket für den öffentlichen Nahverkehr gilt? Reizen Sie Sonderveranstaltungen für Abonnenten, Meet & Greet mit Künstlern, Give Aways, Kinderbetreuung, Treueprämien…? Die Veranstalter sind erfinderisch geworden in den vergangenen Jahren, um den Besuch von Oper, Theater und Konzert so attraktiv wie möglich erscheinen zu lassen. Aber Hand aufs Herz, wären wir nicht alle schon sehr zufrieden mit dem Wesentlichen: einem tollen, abwechslungsreichen Programm auf verlässlich hohem Niveau? In diesen Wochen ist wieder „Primetime“ in Sachen Spielplan: Traditionell sind die großen amerikanischen Opernhäuser früh draußen mit ihren Saisonvorschauen, aber auch an einigen europäischen Flaggschiffen des Musiktheaters hieß es bereits: Vorhang auf für 2017/18! Die Titel der Neuproduktionen, die Premierentermine, das Repertoire, die Besetzungen… Etliche der zum Teil hochspannenden Neuigkeiten von Berlin bis New York haben wir bereits in dieser Ausgabe für Sie redaktionell aufbereitet.
Weiter →Aber was ist ein guter, attraktiver Spielplan? Die Antworten auf diese grundlegende Frage sind so verschieden wie die Stilrichtungen der Oper selbst. Prominente Gesangsstars, ein starkes hauseigenes Ensemble, aufregende Regiearbeiten, prägende Dirigenten, zugkräftige Stücke, spannende Ausgrabungen: Das alles sind gleichwertige Facetten des vielschichtigen, vielgestaltigen Gesamtkunstwerks Musiktheater, die sich eben nicht ausschließen, sondern – idealerweise allesamt – ergänzen. Naturgemäß werden Schwerpunkte ganz unterschiedlich gesetzt, entsprechend der Tradition oder einer nur angenommenen Erwartungshaltung, oftmals rein pragmatisch oder, im Gegenteil, sehr aufgeschlossen und innovativ. Und vor allem nicht selten höchst kreativ manövrierend innerhalb der mancherorts immer enger gesetzten Grenzen struktureller wie finanzieller Rahmenbedingungen.
Umso bemerkenswerter, wie mutig manche Operndirektoren geworden sind, wenn es um die Programmierung von vermeintlich weniger zugkräftigen Werken geht: Zeitgenössisches inklusive Uraufführungen, das spiegelt sich Monat für Monat in unserer Berichterstattung wider, steht da ebenso selbstverständlich auf den Spielplänen wie selten Gespieltes oder gänzlich Vergessenes. Unsere kleine, feine Rubrik „Raritäten“ lässt sich in der Regel mühelos füllen mit den interessantesten Ausgrabungen des Monats. Der entdeckungsfreudige Dirigent Stefan Blunier hat die dahinterstehende Motivation im Interview dieser Ausgabe sehr gut auf den Punkt gebracht. Denn in der Tat sind die sogenannten Repertoirehits längst keine Erfolgsgaranten mehr. Selbst eine »Carmen« kann Kassengift sein. Zudem ist eben auch die gern unterschätzte Aufgeschlossenheit des Publikums weiter entwickelt, die Neugier größer, als mancher annehmen mag. Es spricht für sich, dass auch ein Open-Air-Festival wie die St. Galler Festspiele, das durchaus auf Breitenwirkung angelegt sein muss, sich nicht nur künstlerisch erfolgreich an unbekannte Werke wagen, sondern – ganz offensichtlich gerade durch das Markenzeichen „Entdeckungen“ – auch an der Kasse punkten kann. So viel Mut zum wohlkalkulierten Risiko wünschte man sich an manch größerem Opernhaus!