EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 2/2022
|
|
Opern vor dem Hintergrund vorüberziehender Jahrzehnte und Jahrhunderte sind etwas entschieden Spannendes – ein für einen gänzlich anderen Zeitgeist geschriebenes Bühnenwerk, das sich immer wieder einer Neubefragung stellen muss, fordert, je größer die Entfernung zu seiner Entstehungszeit wird, sowohl den Inszenierenden als auch den Rezipienten. Oft gleicht es einer ideologischen Frage, in welchem Gewand man eine Oper auf die Bühne bringen will. |%weiter% Und regelmäßig bekommt man es in Folge mit den zwei Extremen „Ideenlosigkeit“ und bis zur Unkenntlichkeit „zu viel gewollt“ zu tun. Letzteres meistens den Zwängen von Libretti geschuldet, deren Handlung und Wortwahl bei wortwörtlicher Betrachtung zugegebenermaßen nicht viel Freiraum lassen. Neuinszenierungen, die sich nicht damit begnügen wollen, Oper als opulenten Kostümfilm zu inszenieren, geraten ab einem bestimmten Punkt in den Interessenkonflikt von Werktreue und dem Wunsch nach abstrakterer Auslegung mit Aussagekraft. „Aber muss es diese denn geben?“., fragen viele sich immer wieder. In welchem Maße muss einer Geschichte, die doch für eine andere Zeit und ein anderes Publikum geschrieben wurde, nachträglich eine zeitgemäße Aussage übergestülpt werden? „Kunst sollte etwas sein, das stets auch die Gegenwart befragt“, sagt Elsa Dreisig zum Auftakt einer mehrteiligen Kolumne, in der sie sich aus ihrer Perspektive, also der einer modernen jungen Frau, mit dem facettenreichen Thema Frauenfiguren bei Mozart auseinandersetzt, und aus ihrer Warte auch die Inszenierungen aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts kritisch bewertet. Nicht nur bei Mozart – Frauen in der Opernliteratur generell sind bei näherem Hinsehen ein ergiebiges Themenfeld, das jenseits der ausgetretenen Klischees noch einiges zu bieten hat. Auch wenn es oft primär darum geht, dass sie entweder lieben oder selbst geliebt werden und in kausaler und oft fataler Folge gravierende Opfer erbringen müssen oder selbst auf Rache sinnen, sind es meistens auch eben jene Frauen, die mit ihren Entscheidungen der treibende Faktor und Dreh- und Angelpunkt von Opernhandlungen sind. Mozarts Opern sind hierbei ein Paradebeispiel für einen Kosmos an frappierend zeitlosen Charakteren, die fast schon prädestiniert für eine von ihrer Entstehungszeit unabhängige Deutung sind – gilt doch gerade seine Susanna nicht von ungefähr eine der modernsten und selbstbestimmtesten Opernprotagonistinnen. Auch wenn am Ende die Musik im Zentrum einer Opernaufführung stehen sollte, ist es eine interessante Frage geworden, wie man als Darsteller mit den antiquierten Figuren und stereotypen Beziehungsgeflechten umgehen möchte und kann – wie schwer oder leicht fällt es einem Menschen heute, sich in der Kunst und im Dienste der Musik mit einem leichten Hang zu Eindimensionalität in der Personenführung zu begnügen? Untersucht man insbesondere die Perspektive einer Frau vor dem Hintergrund des teils fast schon unerbittlichen neuen Aufklärungsgeists und spricht über die Schnittmengen, die sich zwischen dem Ruf nach Empowerment und den vermeintlich schwachen Bühnenfiguren ergeben können, eröffnet das noch tiefere Vordringen in die Psyche von Opernheldinnen hier und da sicherlich neue und andersartige Perspektiven – die sich dennoch mit dem Libretto vertragen. Sicher haben auch Sie es schon erlebt, wie vor Ihren Augen das Korsett von Zeit und Raum sich von einem oft gehörten und gesehenen Werk plötzlich abfiel und seine Protagonisten als überraschend heutige Charaktere vor Sie traten – denn wie sich in so vielen Lebensbereichen immer wieder zeigt: So sehr haben der Mensch und seine Freuden und Nöte sich im Laufe der Jahrhunderte offenbar nicht geändert. Viel Freude bei der Februar-Lektüre!
Ihre Yeri Han