EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 1/2018
Auf – und wieder zu. Dann tatsächlich: richtig auf! Die Berliner haben es allen Unkenrufen zum Trotz geschafft, ihre Staatsoper pünktlich zum 275. Geburtstag wiederzueröffnen und einen regulären Spielbetrieb Unter den Linden aufzunehmen. Bis zuletzt hatte man um diesen Termin gebangt, noch Anfang Dezember schien die Zulassung fraglich, es war wie verhext. Doch am Ende siegte das Gute, kann man sich im prachtvollen Knobelsdorff-Bau endlich wieder auf die Kunst – und nebenbei auch auf die Errungenschaften des lang ersehnten Akustik-Tunings – konzentrieren. Wie passend, dass ähnlich wie übrigens auch bei der Wiedereröffnung der Brüsseler Monnaie-Oper mit Philippe Boesmans »Pinocchio« im September, als erste echte Premiere in der Lindenoper just eine, nein: die Märchenoper gespielt wurde.
Weiter →Man hat im Jahr 2017 so manch Märchenhaftes erlebt, auf und hinter der Bühne. Aber man konnte durchaus auch schon mal an böse Geister glauben. Gleich zwei prestigeträchtige, gerade erst eröffnete Neubauten mit einem dramatischen Wasserschaden? Ein zumindest seltsam anmutendes Ereignisdoppel. Doch waren sowohl in der Hamburger Elbphilharmonie als auch im neuen Domizil der Dresdner Staatsoperette keineswegs übersinnliche Kräfte im Spiel, sondern rein menschliche. Die gute Nachricht: Die Staatsoperette, die durch eine katastrophale Sprinkler-Flutung nicht mal ein Jahr nach der Eröffnung schon wieder schließen musste, erlebt in diesen Wochen eine Woge von Sympathiebekundungen seitens eines treuen Publikums, das auch einen Notspielplan – erst im Januar sollen die Schäden gänzlich beseitigt und ein Normalbetrieb wieder möglich sein – unbeirrt mitzutragen gewillt ist. In der von Schimmel befallenen Elbphilharmonie hatte man eh nur sehr wenige Vorstellungen aus dem Kleinen Saal sanierungsbedingt verlegen müssen, inzwischen ist das betroffene Foyer wieder offen; ausverkauft war und blieb ohnehin fast alles.
Die Sogwirkung, die insbesondere vom neuen Hamburger Wahrzeichen ausgeht, ist auch ein Jahr nach der Eröffnung ungebrochen. Schon bis zum 1. Jahrestag der Plaza-Eröffnung Anfang November konnten rekordverdächtige 4 Millionen Besucher gezählt werden, von denen rund 660.000 auch im Besitz einer Konzertkarte waren. Das Bemerkenswerte: Die Laeiszhalle, bisheriges Zentrum klassischen Musikgenusses in der Hansestadt, ist keineswegs im „Elphi-Sog“ untergegangen, sondern wird weiterhin gut frequentiert; einige Konzerte, die in früheren Jahren vermutlich eher mittelmäßig gebucht gewesen wären, sind jetzt ebenfalls ausverkauft. Also doch der gleichermaßen viel beschworene wie angezweifelte Aufschwung der Musikstadt Hamburg?
Die so besondere Akustik des großen Saales hat in den vergangenen Monaten einige interessante Erkenntnisse hinsichtlich Musizierkultur und Klangqualität gebracht – bei heimischen wie gastierenden Orchestern, Dirigenten, Instrumentalisten, Sängern. Auf einem so außergewöhnlichen akustischen Präsentierteller trennt sich nun einmal sehr deutlich die Spreu vom Weizen. Auch die Diagnose, die Marek Janowski in unserer Dezemberausgabe hinsichtlich der Elbphilharmonie-Akustik gestellt hatte, dürfte nicht ungehört geblieben sein. Die einmalige Chance in all diesen neuen Sälen – sei es in der Pariser, der Hamburger, der Dresdner Philharmonie, in Berlins Boulez-Saal oder eben der „neuen“ Lindenoper – liegt nicht allein im zahlenmäßigen Zugewinn an Publikum durch die Attraktion des Neuen, sondern vor allem in dem Potenzial, wieder ein echtes, kritisches Qualitätsbewusstsein zu befördern: im programmatischen Anspruch ebenso wie im Niveau der Darbietungen. Das ist eine Herausforderung, der sich zu stellen auch für unsere traditionsreichen Opernhäuser nicht die schlechteste Option sein dürfte.
Glauben wir gerade zu diesem Jahreswechsel einmal ganz unbeirrt an das Gute. In diesem Sinne Ihnen einen guten Start in ein schönes, anregendes Opernjahr 2018!