EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 12/2023| Dass Musik verbindet, ist bekannt. Dass sie dies nicht nur ideell tut, sondern auch körperlich, war ebenfalls bekannt, als Forscher vor zehn Jahren beispielsweise belegten, dass die Herzen von Chorsängern im gleichen Takt schlagen. Auch das leuchtet ein, schließlich bewegen sich und atmen diese Musiker aktiv innerhalb des Pulses eines ganz bestimmten Musikstückes. Einen ganz wunderschönen weiteren Beweis für sogenannte interpersonelle Synchronizität haben nun Forscher aus Zürich, Frankfurt, Friedrichshafen und Karlsruhe erbracht, als sie anhand einer während der Pandemie erhobenen Studie nachweisen konnten, dass auch der Herzschlag von Zuhörern klassischer Musik sich angleicht. Während des Musikgenusses von Werken von Beethoven, Brahms und Brett Dean näherten sich der Pulsschlag, die Atemfrequenz und sogar die Leitfähigkeit der Haut der 132 Probanden immer weiter einander an. Leitfähigkeit der Haut? Sie ist ein Anzeiger für Aktivierung und Erregung – wie sehr sind wir berührt?%weiter%Wenig überraschend, dass diejenigen, die sich laut Fragebogen besonders ergriffen von der musikalischen Darbietung fühlten, auch auffallend synchron im Herzschlag waren – und das ohne jedwede körperliche oder visuelle Interaktion. „Die Zuhörer des Konzerts haben Resonanz auf die Musik gezeigt“, so steht es im Bericht. Resonanzeffekte dieser Art sind natürlich nichts grundlegend Neues, aber wie spannend ist es doch zu wissen, dass das Herdentier Homo Sapiens auch ohne bewusste oder sichtbare Interaktion Synchronisationseffekte anhand einer gemeinsamen Erfahrung zulässt? Klang und Resonanz – beides gehört untrennbar zusammen, und so empfinden wir Zuhörer am Ende nur Live-Musik als vollständig beglückend, während im Gegenzug auch Musiker ihre Tätigkeit nur dann als vollständig erfüllend beschreiben, wenn sie ein Publikum vor sich haben, mit dem sie über ihre Musik interagieren, dessen Energie sie im selben Raum fühlen können. Klang- und Resonanzkörper – Musiker und Publikum.
Die meisten Synchronisationseffekte laufen unbewusst ab. Die bekanntesten Beispiele sind Mit-Gähnen, das Imitieren von Gesten und Körpersprache des Gegenübers. Aber vielleicht achten Sie ja jetzt in der Adventszeit, in der man traditionell nicht nur daheim wieder gemütlich zu dem ein oder anderen Filmabend enger zusammenrutscht, sondern auch das Weihnachtsprogramm wie jedes Jahr dazu einlädt, den Opern-, Ballett- oder Konzertbesuch zur Familiensache zu machen, doch zwischendurch einmal ganz verstohlen darauf, was in diesem Moment körperlich in Ihnen vorgeht, und stellen sich vor, dass auch ihr unbekannter Vorder- und Hintermann dies in ganz ähnlicher Form gerade erlebt. Und vielleicht erfüllt es Sie mit ein wenig geheimer Freude, dass nicht nur das Orchester auf der Bühne oder im Graben gemeinsam schwingt und schwelgt, sondern auch Sie, die anwesenden Zuhörer, die da so vermeintlich still in Ihren Stühlen ausharren. Auch Sie schwingen zum gespielten Puls der Musik, auch Sie bilden für diesen einen Abend einen Körper, der Signale in den Raum entsendet.
Wir freuen uns, Ihnen auch in diesem Jahr mit der Dezember-Ausgabe ein wenig Inspiration zu weihnachtlichen Klängen in die heimischen vier Wände zu bringen – vielleicht sind ja unter den zahlreichen Neuerscheinungen, die jetzt auf den Markt geströmt sind, ein paar Titel dabei, die Ihnen warm ums Herz werden lassen oder Sie im adventlichen Trubel in besonders beschwingte Hochstimmung versetzen. Wenn die nachfolgenden Seiten Sie in den ruhigeren Minuten der kommenden Wochen begleiten dürfen, freuen wir uns! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre,||
Ihre Yeri Han