EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 11/2017
Erst Mozarts Zerlina, dann Puccinis Mimì: 1992 begann die große, internationale Karriere der in vielerlei Hinsicht einzigartigen Angela Gheorghiu. Londons Royal Opera House war für sie nach den Anfängen im Heimatland Rumänien die erste Station von Rang in jenem Jahr, das auch gleich noch die Debüts an der New Yorker Met und der Wiener Staatsoper bereithielt. Nur zwei Jahre später katapultierte sich die Sopranistin dann bereits in den Olymp einer ganz eigenen Liga, den sie von da an nicht wieder verlassen sollte. Die heute längst legendäre, von Sir Georg Solti dirigierte »La Traviata« war ein TV-Ereignis, das der BBC erstaunliche Einschaltquoten einbrachte – und der Sopranistin auf einen Schlag Weltruhm. Das virtuose Spiel der Diva auf der ganz großen PR-Tastatur mit all ihren Dur- und Moll-Klängen wurde dabei fast ebenso sprichwörtlich wie der Glanz ihrer in aller Welt umjubelten Auftritte. Eine echte Diva eben. 25 Jahre Weltkarriere: Zeit für eine Bilanz im exklusiven Interview.
Weiter →Wie es sich für wahre Künstler gehört, kann ein solches Jubiläum auch für Angela Gheorghiu nur eine Zwischenstation sein auf dem Weg zu den nächsten großen Zielen – bei erstaunlich dauerhafter Jungendfrische und Klangschönheit einer intakten Stimme, die ihr über Jahrzehnte Rollenporträts ermöglicht von Partien, denen sie zum Teil schiere Ewigkeiten treu bleibt. Nicht umsonst steht auch nach 25 Jahren die Mimì in »La Bohème« weiterhin in ihrem Kalender (aktuell im Dezember an der Staatsoper Unter den Linden).
Tenorkollege Gregory Kunde blickt da auf eine gänzlich andere, gleichwohl noch längere Karriere zurück, bedient er doch inzwischen höchst souverän ein Fach, das man ihm zu Beginn seiner Laufbahn nicht ansatzweise zugetraut hätte. Er selbst übrigens, das gibt er unumwunden zu, ebenfalls nicht. So anfällig eine Stimme bei technisch falschem Einsatz oder zu starker Beanspruchung ist, so reich kann sie einen Sänger beschenken, wenn ihrer Entwicklung ausreichend Zeit und Raum gegeben wird. So absolviert der 63-Jährige heute gelassen ein geradezu ehrfurchtgebietendes Pensum anspruchsvollster Partien (aus sehr unterschiedlichem Repertoire) und steuert dabei auch noch zielstrebig auf einige nicht minder herausfordernde Rollendebüts zu, aktuell im November die Titelpartie in Giacomo Meyerbeers »Le Prophète« an der Deutschen Oper Berlin.
Was für eine beneidenswerte, unerschöpfliche Energie! Im Interview vermittelt der Tenor tatsächlich eine ansteckende Begeisterung – und findet treffende Worte zum Thema Jugendwahn in der Oper: ein in der Tat widersinniger Trend unserer Zeit, der gerade im Bereich des klassischen Gesangs fatale Folgen haben kann. Die Sorgen um all jene jungen Künstler, die zu früh an zu großen Häusern in zu schwerem Fach besetzt werden (und das oft auch selbst wollen!) sind sehr berechtigt. Gheorghiu und Kunde bieten den besten Beweis, dass die großen, langjährigen Karrieren bei entsprechend kluger Herangehensweise eben doch immer noch möglich sind – sowohl mit als auch ohne großen Plattenvertrag im Rücken.