EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 10/2023| Die Zukunft der Oper – sie ist und bleibt ein Thema, das in ganz vielen und unterschiedlichen Facetten die Theatermacher in Bewegung hält. Für ein überregionales Aufrütteln sorgte kürzlich das Theater Lüneburg, als bekannt wurde, dass externe Gutachter einen drastischen Personalabbau in den Raum gestellt hatten, um die Wirtschaftlichkeit des Hauses bei gleichbleibenden finanziellen Mitteln wiederherzustellen. Aber Personalabbau wo? Ein erster „Verdächtiger“ hierfür ist in so einem Fall oftmals das musikalische Fundament einer Musiktheater-Sparte selbst, also Orchester und Chor. Schon die Metropolitan Opera hatte während der Pandemie ihr Orchester freistellen müssen. Doch was macht das mit einem Opernhaus beziehungsweise einem Mehrspartentheater, wenn es sein Orchester und seinen Chor signifikant verkleinern oder im schlimmsten Fall sogar ganz aufgeben muss? Und was bedeutet so ein Schritt perspektivisch in der Theaterlandschaft Deutschland, die so lange zu Recht so stolz auf ihr dichtes Netz an Kultur-Standorten war, das anders als so viele andere Länder dicht an dicht auf ländlicher wie urbaner Ebene die Bevölkerung mit einem regelmäßigen Musiktheater-Angebot versorgt. Was, wenn diese Kulturstandorte nach und nach schwinden?%weiter%
Die grundsätzliche Zukunftsfähigkeit der Branche, gerade auch des mit hohem Aufwand betriebenen deutschen Theatersystems, wird schon länger gelegentlich hinterfragt. Christina Scheppelmann, die designierte neue Intendantin des La Monnaie in Brüssel, äußerte in ihrem letzten Interview mit uns bereits Zweifel, ob das aufführungsreiche Repertoiresystem – so fundamental es auch für die kulturelle Bildung von so vielen war und ist – sich in dieser Form aufrechterhalten lassen würde, und auch Sophie de Lint, Amsterdams Operndirektorin, verbringt einen Großteil ihrer Zeit damit, mit ihren nationalen wie internationalen Kolleginnen und Kollegen die notwendigen Weichen für die Zukunftsfähigkeit des Musiktheaters zu stellen, auf inhaltlicher, ökonomischer und ökologischer Ebene. Die sich immer schneller verändernde (Um-)Welt stellt auch die Kultur vor Herausforderungen, vor denen verantwortungsvolle Macher nicht länger die Augen verschließen können, sondern reagieren müssen. Denn wenn in jeder Hinsicht Ressourcen knapper werden, muss auch das Musiktheater sich anpassen, um nicht plötzlich aus einer externen Zwangslage heraus zur antiquierten, schwerfälligen Grand Dame und als solche für nicht länger haltbar erklärt und mit Krokodilstränen aussortiert zu werden.|
Das Schöne ist aber, dass bei all diesen recht weit gediehenen, konkreten Überlegungen und der unermüdlichen Suche nach Lösungsansätzen doch auch immer wieder die große Vitalität des Musiktheaters deutlich wird. So schön, glamourös und hochqualitativ die Goldenen Zeiten der Oper auch waren, und so berechtigt so mancher von Jung bis Alt nostalgisch zurückschaut – genauso aufregend, hochklassig und emotional ist das, was sich aktuell behutsam vollzieht, um sicherzustellen, dass auch in Zukunft noch Menschen, ohne einen allzu weiten Weg zurücklegen zu müssen, Musiktheater konsumieren können. Vielleicht sind es andere Geschichten, erzählt von einem anderen Typ Sänger, die uns in dieser neuen Zeit begegnen werden; aber wie unsere Interviewpartner dieser Ausgabe uns erneut erfrischend vor Augen führen, sind es nicht länger einzelne divenhaften Gallionsfiguren, die die Szene prägen, sondern eine Vielzahl von ganz der Kunst verpflichteten und äußerst reflektierten Künstlerinnen und Künstlern, von denen man sich doch sehr gern und mit Freude in ein mögliches neues Zeitalter des Musiktheaters mitnehmen lässt. |
In der Hoffnung, dass es auch Ihnen, liebe Leser, so geht, entlasse ich Sie nun in die Lektüre der anschließenden Seiten und wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Erkunden der jüngsten „Opernglas“-Eindrücke.|
Ihre Yeri Han