
EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 05/2025||„Lieber als Kuh geboren werden als als Frau auf Jeju“, sagt in einer koreanischen Netflix-Serie eine Mutter in den 1960er-Jahren zu ihrer Tochter – in dem Wunsch und Bestreben, dass sie, das junge Mädchen, es anders als ihre vom harten Leben gebeutelte Mutter schaffen möge, aus dem ewig gleichen Kreislauf von geschundenen Frauen-Schicksalen auszubrechen und frei ihren Weg zu gehen. Die erwähnte Insel Jeju mag ein spezieller Ort sein – die in dem einen Satz geschilderte Problematik aber erkennt man auch in so mancher Oper wieder, in denen die oftmals weiblichen Protagonisten unter den Fesseln von Standesdenken, erdrückendem Kleinbürgertum oder – wenn man es melodramatischer möchte – des Schicksals selbst zu kämpfen haben. Oder sogar daran zugrunde gehen. In der historischen Rückschau der Opernbühne erleben wir als Zuschauer immer wieder, wie Menschen vergeblich gegen die Widrigkeiten ihrer Lebenswelten ankämpfen, erkennen die Unvermeidlichkeit mancher Muster wieder, schütteln über anderes den Kopf, weil dann inzwischen doch zu fremd.%weiter%Selbst eine »Tosca«, die in dieser Ausgabe besonders beleuchtet wird, mit ihrer vermeintlich so kapriziösen, divenhaften Titelheldin kann, wie die beiden zu Wort kommenden Interpretinnen so treffend zeigen, aus ganz verschiedenen Perspektiven gesehen, als in ihren Taten fast schon modern wirkende Frau gelesen werden, jenseits ihrer nach außen getragenen Attitüde, auf die sie oftmals – zu Unrecht? – reduziert wird.
Auch in der neuen „Opernglas“-Ausgabe begegnen wir in den unterschiedlichen Produktionen ganz verschiedenen Ansätzen – Abstraktes, Modernes, Interdisziplinares, Traditionelles; doch darin immer wieder auch dem verzweifelten und oft vergeblichen sich-Auflehnen gegen eine Gesellschaft beziehungsweise die Suche nach dem gewissen Mehr, das das große Glück bedeuten könnte. Wir Menschen lieben dieses Streben und Leiden auf dem Weg zu einem möglichen höheren Glück ganz offensichtlich – und ebenso offensichtlich ist, dass auch der mal mehr, mal weniger scharfe Konflikt des Individuums mit seiner Lebenswelt und dem, was wir als gesellschaftliche Norm ansehen, uns seit jeher fasziniert.
Ein wenig mehr poetischen silbernen Faden am Horizont wünscht man sich bei all dieser morbiden Vorliebe fürs menschliche Leid dann aber doch – und Hand aufs Herz: Wie viel Donald Trump brauchen wir auf der Opernbühne? Reicht es nicht, wenn uns die Nachrichten mit ihm, Großer Koalition oder Wutbürgern konfrontieren? So sehr wir uns auch gern im – künstlerischen – Lieben und Leiden suhlen; das funktioniert doch auch bestens in bildhafter Distanz und metaphorischer Suche, ohne dass uns die Schlagzeilen explizit um die Ohren geworfen werden. So wie erst der gut (!) gefüllte Zuschauerraum die Akustik eines Saals vervollkommnet, wie Ricarda Merbeth es so schön sagt, obliegt es auch uns, unsere bewussten Gedanken und Gefühle in eine Produktion hineinzutragen, gemeinsam oder einzeln nach Dingen auf der Bühne zu suchen und vielleicht etwas zu finden, das eine Saite in uns zum Klingen bringt. Die Suche und das Streben nach neuen Horizonten findet nicht nur auf der Bühne statt, sondern auch im Zuschauerraum.
Ganz viel Alt und Neu begegnen sich auch auf den folgenden Seiten – wir hoffen, dass auch Sie in diesem Mix an erzählten Geschichten etwas für sich finden, das Sie nachhaltig inspiriert, vielleicht sogar neu denken lässt, in jedem Fall aber gut unterhält!||
Ihre Yeri Han