EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 03/2023|
Auch wenn das Wetter noch nicht so ganz darauf hindeutet: Zumindest der kalendarische Frühling steht endlich wieder vor der Tür und läutet wie in jedem Jahr die spannende Phase eines Jahres ein, in der die Opernhäuser ihre anstehende Spielzeit mit der Öffentlichkeit teilen. Wie immer sind es traditionell die USA, die frühzeitig ihren Saisonausblick vorstellen, doch auch der deutschsprachige Raum lässt danach nicht mehr lange auf sich warten, oftmals unter den erwartungsfrohen Augen nicht nur des lokalen Publikums, das gespannt ist, was „sein“ Haus nach der Sommerpause wohl anbieten wird und auf welche Stücke in welcher Besetzung man sich als Zuschauer – und wir als Berichterstatter – freuen darf.%weiter%Sobald das Geheimnis gelüftet ist, liegen Vorfreude und Enttäuschung manchmal nicht weit auseinander; mal sind es die Besetzungen, die hinter den Erwartungen zurückbleiben, mal hat man sich mehr Mut in der Auswahl der Neuproduktionen und verantwortlichen Regieteams gewünscht – oder im Gegenteil weniger davon, Geschmäcker gehen schließlich auseinander. Es wird von den Führungskräften der Theater oftmals bilanziert, dass es ohne eine bestimmte Quote an »Toscas«, »Bohèmes« und »Carmens« eben nicht ginge, da diese Werke die breite Masse ins Haus holen und die Plätze füllen. Und gerade nach den Pandemie-bedingten Krisenjahren ist oftmals auch das Bedürfnis nach dem gewissen monumentalen Bühnenmoment umso größer, nach Orchester- und Chorbesetzungen in großem Format und größtmöglicher Klangfülle. Die Mischung macht’s bekanntermaßen, und das eine Publikum will neu gefunden, das andere in seinen Vorlieben und Gewohnheiten nicht verschreckt werden. Was Theater und Festivals sich hierfür einfallen lassen, ist interessant zu beobachten – „in die Stadt“, „zum Publikum“ hinausgehen lautet oftmals das Stichwort, und Beispiele wie das Mozartfest Würzburg, das kürzlich seine diesjährige Festspielausgabe vorstellte, oder Lotte de Beers Ideen für die Volksoper Wien machen Hoffnung, dass das nicht nur vielbemühte Phrasen sind, sondern auf lange Sicht effektive Werkzeuge, die Hemmschwellen abbauen und der Klassik den diffusen Schleier des Abstrakten oder vermeintlich Elitären nehmen.
Wie wichtig und bereichernd eine gute Mischung ist, wissen wir mindestens ebenso gut und freuen uns daher auch in diesem Monat sehr, die verschiedenen Facetten des Musiktheaters ausbreiten zu können. Vom jungen und doch schon gestandenen Talent aus der Schweiz über den sich mit Bedacht seinem Zenit annähernden Bass bis hin zum wie eh und je auf unkonventionellen Wegen und jenseits aller Schubladen wandelnden Tenor – es sind immer wieder schöne Einblicke, die wir durch diese Gespräche erhalten und die uns zeigen, wie ähnlich und gleichzeitig verschieden die Wege sind, über die man seinen Weg in der Klassikszene finden und bestreiten kann. Die einen suchen ständig das Neue, andere fühlen sich in einer bestimmten Ecke am wohlsten, wieder andere springen wild hin und her zwischen den sich ihnen bietenden Möglichkeiten; manche funktionieren in ihrer Sichtbarkeit und Positionierung besonders gut als CD- und Konzertkünstler, andere sind hochverdiente Bühnenveteranen, manche beides. So ergibt sich im Kleinen wie im Großen eine bunte Mischung, in der wir als (meistens) dankbare Konsumenten immer wieder unsere persönlichen Perlen finden und gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern und der von ihnen dargebotenen Kunst auch unseren eigenen Horizont stetig erweitern können. Schätzen wir uns glücklich, dass wir die Muße und die Mittel besitzen, immer wieder die für uns richtige „gute Mischung“ zu suchen und zu finden, alles andere wäre Klagen auf sehr hohem Niveau. Denn woanders auf der Welt, teilweise direkt vor unserer Tür, sehen die Lebensrealitäten schon ganz anders aus.||
Ihre Yeri Han