EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 02/2023|
Die zunehmende Überalterung von Bevölkerungen weltweit beschäftigt Wirtschaft wie Politik zunehmend und stellt vor rasant wachsende Herausforderungen, eine solche Gesellschaft funktional und ohne Einbruch der Lebensqualität zu betreiben. Doch auch die Kultur treibt das Thema bereits seit langem bekanntermaßen rum, und das scheinbar ohne ein wirklich erfolgversprechendes Konzept. „Zeitenwende“ war das Wort des Jahres 2022 – und auch wenn es vom deutschen Bundeskanzler in einem anderen Kontext verwendet wurde, kann man es auch auf die Opernszene ausdehnen. Wie kann/muss ein Theater der bereits anbrechenden Zukunft aussehen, um weiter ein inhaltlich relevantes, gleichzeitig aber auch Freude bereitendes Angebot bereitstellen zu können, das von möglichst vielen in Anspruch genommen wird?
Kinder- und Jugendangebote sind ein Mittel, das von vielen (nicht allen!) Theatern gern in den Ring geworfen wird und sicherlich schon an richtiger Stelle ansetzt, da die Wahrscheinlichkeit, in seiner Lebensmitte seinen allerersten Opernbesuch zu wagen, relativ niedrig ist beziehungsweise gegen null geht.%weiter%Denn erfahrungsgemäß geht als Erwachsener nur der zu klassischen Kulturveranstaltungen, der durch ein klassikaffines Elternhaus oder durch schulische oder andere institutionelle Angebote frühzeitig herangeführt wurde. Auf schulische Initiativen ist nur leider immer weniger Verlass, wenn man sich einmal die eklatanten Unterschiede vor Augen führt, mit denen entweder solides, wenig oder auch gar kein musikalisches Grundwissen vermittelt wird. Wer soll also diese Bildungslücke füllen und eine Brücke zum „Kulturtempel“ schlagen, wenn weder das familiäre Umfeld noch das Schulsystem dies tun? Und vor allem wie? Diese Frage führt direkt zur nächsten möglichen Stellschraube und strittigen Frage nach dem Wert, zu dem die Klassik sich verkaufen sollte. Das Theater Hagen hat zuletzt mit seinem „9-Euro-Ticket“ nicht nur für überregionale Beachtung gesorgt, sondern im selben Zuge auch seine Auslastungs- und Abonnementszahlen erfreulich steigern können. Wurde bezüglich des gratis ausgerollten Streaming-Angebots während der Pandemie noch (zum Teil sicherlich berechtigt) geunkt, dass hier in fataler Weise das hohe Gut Klassik „verschleudert“ würde, ist das Bestreben, mehr Menschen zum Live-Erlebnis zu überreden, ein absolut berechtigtes und notwendiges, erst recht in Zeiten von hoher Inflation, in denen viele Menschen genau überlegen, für was sie ihr Geld ausgeben können und möchten, unabhängig davon aber imstande zur Teilhabe sein sollten. Kunst sollte niemanden absichtlich ausschließen.
Umso interessierter schaut man auf die neuen verjüngten Personalien, die entweder bereits walten wie Lotte der Beer und Stefan Herheim in Wien oder bald walten werden, wie der doch sehr überraschend von der Hamburgischen Findungskommission zum nächsten Intendanten der Staatsoper berufene Tobias Kratzer, der sein Amt – das nun wenig überraschend – nicht als administrativer Manager, sondern mit klarem Schwerpunkt auf die künstlerische Vision anzutreten beabsichtigt. Man darf gespannt sein, wie das konkret umgesetzt werden wird und was ein Personalwechsel für die kulturelle Landschaft einer Stadt bedeuten kann.
Denn am Ende bleibt die Frage: Was braucht es, um heute ein Haus mit kreativer Handschrift, dabei wirtschaftlich erfolgreich und zukunftsfähig zu leiten? Sicherlich ist mehr nötig als eine Personalie allein. Die oftmals abseits des öffentlichen Auges und Interesses waltenden Kulturministerien müssen hier und da stärker unter die Lupe genommen, die „Lobby“ für die Klassische Musik ethnisch wie demografisch diversifiziert und in ihrer Arbeit sichtbarer werden, um mehr im Sinne einer breiteren Öffentlichkeit zu bewegen, alte und träge gewordene Strukturen aufzubrechen und mit lauterer und vor allem in jeder Hinsicht dynamischerer Kraft die ihr zustehende gesellschaftspolitische Relevanz ausüben zu können.||
Ihre Yeri Han